Wenn Saftläden Gender-Marketing für sich entdecken

Ich gebe zu, nachdem das „Überraschungsei für Mädchen“ vor ein paar Jahren für ordentlich Kritik sorgte, habe ich gedacht, dass andere namhafte Lebensmittelhersteller vielleicht die Finger von diesem Quatsch lassen. Ich habe mich leider geirrt. Immer wieder tauchen solche Produkte in deutschen Supermärkten auf. Ob rosa Muffinbackmischungen für hübsche Prinzessinnen oder blaue für abenteuerlustige Piraten – Geschlecht wird fortwährend industriell konstruiert.

Was in diesen Beispielen noch relativ einfach zu entlarven ist, gestaltet sich etwas kniffliger, wenn Gender-Marketing mit Gesundheitsaussagen verknüpft wird. So wie es aktuell bei den Produkten des Fruchtsaftherstellers Amecke der Fall ist. Mit Säften „speziell für die Frau“ und „speziell für den Mann“ werden zwei Produkte beworben, die scheinbar genau auf den Nährstoffbedarf der Geschlechter abgestimmt sind. Ist da etwa was dran?

Schauen wir uns zunächst einmal „Amecke Für Sie“ an, mit Eisen, Folsäure, Calcium und Vitamin D. Frauen und Eisen, da war doch irgendwas… Ja, zu der Risikogruppe eines Eisenmangels zählen Menschen mit starker Menstruationsblutung. Genauso dazu zählen aber auch Kinder, Sportler*innen, Menschen, die sich vegetarisch oder vegan ernähren und Menschen, die regelmäßig Blut spenden. Und da Eisenmangel weltweit eine der häufigsten Mangelerkrankungen ist, ist es äußerst dumm, immer nur Frauen zu erzählen, dass sie auf ihre Eisenzufuhr achten sollen.

Der nächste Punkt ist Folsäure. Ebenfalls gern als „Frauen-Vitamin“ inszeniert, da Schwangere einen höheren Bedarf haben. Tatsächlich ist Folat aber eines der häufigsten Mangelvitamine in Deutschland – unabhängig vom Geschlecht – und sollte mehr in Form von Gemüse und Hülsenfrüchten konsumiert werden. [1] Und Calcium? Hier wird vermutlich auf die erhöhte Osteoporoserate bei Frauen nach der Menopause angespielt, aber auch hier sind ebenso Männer im höheren Lebensalter betroffen. Seine zentrale Bedeutung hat Calcium vor allem in der Prävention und die erfolgt im Kindesalter. Wer als Kind – unabhängig vom Geschlecht – genügend Calcium aufnimmt und sich regelmäßig bewegt, trägt zu einer optimalen Mineralisierung der eigenen Knochen bei. [2]

Der nächste Kandidat im Gendernährstoffquartett ist Vitamin D. Und Überraschung, auch Amecke hat erkannt, dass alle dieses Vitamin benötigen und sowohl den „Frauensaft“ als auch den „Männersaft“ damit angereichert. Bei „Amecke Für Ihn“ findet man dann noch Magnesium, Zink und B-Vitamine. Jetzt wird’s spannend. Zwar empfehlen Ernährungsorganisationen wie die DGE Männern etwas mehr Magnesium und Zink als Frauen, aber Schwangere und Stillende haben zum Beispiel einen noch höheren Bedarf als Männer.

Warum sind diese beiden Nährstoffe also keine „Frauen Nährstoffe“? Ganz einfach deshalb, weil Magnesium und Zink als bedeutend für Muskelkraft und geistige Leistungsfähigkeit gelten. Also das Zeug, was Frauen gar nicht betrifft *hust*. Deshalb erfolgt auch explizit der Hinweis, dass dieser Saft „zur Stärkung für ihn“ ist. Klar, was auch sonst. Männer müssen schließlich Leistung erbringen. Mit der Aufzählung von B-Vitaminen hat man dann wohl abschließend einfach nur versucht, auf dieselbe Anzahl wie beim „Frauensaft“ zu kommen. Ich kann hier nicht mal ansatzweise eine tiefere Bedeutung erkennen.

Was lernen wir daraus? Solche Produkte sind nicht nur unglaublich unsinnig, sondern auch gefährlich, da es dazu führen kann, dass Verbraucher*innen denken, sie müssen sich nur um die Versorgung mit bestimmten Vitaminen kümmern und können andere außer Acht lassen. Außerdem brauchen wir keine Fruchtsäfte, die uns klammheimlich reaktionäre Geschlechterrollen unterjubeln. So was kommt bei raus, wenn Saftläden Gender-Marketing für sich entdecken.

Quellen

[1] https://www.ugb.de/ernaehrungsplan-praevention/folsaeure-ins-brot/?folsaeure-nahrungsergaenzungen
[2] https://www.ugb.de/calciummangel/calciumbedarf-calciummangel-calciumpraeparate/

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