Wie ihr wisst, brennt mein Herz nicht nur für die vegane und nachhaltige Ernährung, sondern auch für die Gesundheits- und Ernährungssoziologie. Daher bin ich auch besonders stolz darauf, dass das Fachmagazin „Prävention und Gesundheitsförderung“ meine Studie über die soziale Konstruktion von Gesundheit auf Instagram veröffentlicht hat.
Neben wissenschaftlichen Definitionen von Gesundheit nehmen auch gesellschaftliche Wissensbestände Einfluss auf das, was allgemein unter „Gesundheit“ oder „gesundheitsförderlich“ verstanden wird. Der öffentliche Diskurs wird dabei zunehmend durch Inhalte aus sozialen Medien geprägt, welche zu einem festen Bestandteil des Alltags vieler Menschen geworden sind.
Am Beispiel von „Fitness“- und „Body Positive“-Beiträgen auf Instagram habe ich ebendiese unterschiedliche Konstruktion von Gesundheit untersucht und ausgewertet. Diese Themenschwerpunkte sind zwei große Trends, die beide für sich den Anspruch erheben, zu mehr Gesundheit zu führen und sich intensiv mit dem eigenen Körper und der Ernährung auseinandersetzen.
Details zur Studie
Die untersuchte Stichprobe der Studie umfasste 600 Instagram-Beiträge, außerdem wurden bereits existierende Studien zu dem Thema ausgewertet und mit den eigenen Daten verglichen.
Die Ergebnisse zeigen, dass beide Communities vor allem Selfies in der Kombination mit Texten und Hashtags nutzen, um ihre Anliegen zu kommunizieren. Die Fitness-Community scheint sich zunächst einmal an gängigen Gesundheits- und Ernährungsempfehlungen zu orientieren wie etwa regelmäßige körperliche Betätigung zu betreiben, auf das eigene Körpergewicht zu achten, täglich Gemüse und Obst zu essen und auf Zucker möglichst zu verzichten. Es wird jedoch deutlich, dass Gesundheit nicht als Teil eines guten Lebens verstanden wird, sondern sie wird zum obersten Ziel erklärt, welche nur durch rationale Lebensführung erreicht werden kann.
Bei der detaillierten Auseinandersetzung mit Bild, Video und Textbeiträgen wird deutlich, dass gesund und fit sein für die Fitness-Community vor allem bedeutet gesund und fit auszusehen. Gesundheit ist hier etwas, was man äußerlich am Körper ablesen kann. Die Kriterien dafür orientieren sich nicht nur an westlichen Schönheitsidealen, es herrscht eine strenge geschlechtsspezifische Normierung von Körperidealen.
Die schlanke Frau und der muskulöse Mann
Die schlanke Frau und der muskulöse Mann sind die unangefochtenen Idealbilder. Und weil der fitte Körper das Symbol von Gesundheit schlechthin ist, wird das ständige Berechnen des Kaloriengehalts der eigenen Speisen, der Verzicht auf Zucker, exzessive körperliche Betätigungen und das tägliche Fotografieren und Veröffentlichen des eigenen flachen Bauches oder der muskulösen Oberarme nicht als zwanghafte Verhaltensweisen bewertet, die den Weg zu Depressionen und Essstörungen bereiten, sondern als „#healthylifestyle“. Das Wissen, welches von der Fitness-Community über Gesundheit konstruiert wird, ist nicht nur aus diesen Gründen mehr als das Beherzigen der Gesundheitsempfehlung sich ausgewogen zu ernähren und Sport zu treiben. Es ist ein zutiefst normatives Wissen, da über Weg und Ziel eine klare Definition besteht. Das Ziel, nämlich der „richtige“ Körper, ist an das binäre Geschlechtersystem geknüpft, was bedeutet, dass es nur schlanke Frauenkörper und muskulöse Männerkörper geben darf, alles andere ist unerwünscht. Überspitzt ausgedrückt werden hier weibliche Magersucht und männlicher Adoniskomplex zum Kulturphänomen erkoren.
Erste Studien bestätigen, dass entsprechende Fitness-Inhalte auf Instagram bei den Rezipient*innen zu einer steigenden Körperunzufriedenheit und in Folge dessen zu Essstörungen und Depressionen führen können. Hier besteht weiterer Forschungsbedarf. Ein weiterer zentraler Kritikpunkt an der Fitness-Community ist außerdem, dass Gesundheit zum alleinigen Ergebnis individueller Verhaltensweisen erklärt wird und damit Politik und Gesellschaft aus der Verantwortung nimmt. Das führt auf Bevölkerungsebene zur Verschleierung drängender Probleme und auf individueller Ebene zu Schuld- und Schamgefühl, wenn entsprechende Idealbilder nicht umgesetzt und erreicht werden können. Letzteres greift vor allem die Body-Positive- Community auf, welche Wohlbefinden fernab von Körpernormen propagiert und den Rezipient*innen zu mehr Selbstakzeptanz und Selbstliebe verhelfen will. Zudem wird ein evidenzbasierter Paradigmenwechsel im Bereich der Gesundheitsförderung in Bezug auf Menschen mit höherem Gewicht gefordert, welcher zu einer Entstigmatisierung und zur Reduktion von Körperunzufriedenheit führen soll.
Kritik an der BodyPositive-Bewegung
Doch auch wenn diese Ansatzpunkte die Chance bieten, den steigenden Trend von Körperunzufriedenheit, Depression und Essstörung umzukehren, bleiben die Beiträge nicht frei von Kritik. So ist eine fehlende Inklusion von Minderheiten erkennbar und die Bewegung wird zunehmend von attraktiven, dünnen, weißen Frauen präsentiert, die sich positiv mit ihrem Körper auseinandersetzen. Das Ziel eine große Körpervielfalt als etwas Positives zu etablieren, wird so regelrecht unterwandert. Zwar gehören zu einer großen Körpervielfalt auch weiße, schlanke Körper, wenn diese kritische Bewegung jedoch zunehmend von normkonformen Körpern repräsentiert wird, die nicht mit Diskriminierung, Stigmatisierung und sozialer Exklusion rechnen müssen, verliert ebendiese Bewegung an Bedeutung. Langfristig werden dadurch gängige Schönheitsideale und Normen reproduziert und verfestigt und nicht länger kritisiert und dekonstruiert.
Doch es ging mir nicht nur um eine kritische Auseinandersetzung mit Instagram-Beiträgen. Ich habe diese Studie auch zum Anlass genommen, die wissenschaftliche Gesundheitskommunikation zu kritisieren. Denn als gesund geltende Körperideale sind keine „Erfindung“ sozialer Medien. Die identifizierten Praktiken und Identitätskonzepte knüpfen letztlich nur an die Festlegung von Normgewichten durch Gesundheitsexpert*innen an, anhand derer die Bevölkerung als „gesund“ und „krank“ klassifiziert wird. Die fortwährend niedrigere Bestimmung dessen, was als Normgewicht gilt, tut dabei ihr übriges. So wird es zunehmend schwerer für die Menschen dieses Ideal zu erreichen und das was wissenschaftlich als „krank“ oder „abweichend“ klassifiziert wird, geht in die Empfindung des Individuums über.
Bisher gesunde Menschen werden zu Kranken erklärt und fühlen sich dann auch als solche. Wenn zudem das Beherzigen von Gesundheitsempfehlungen zunehmend in zwanghaftes, krankmachendes Verhalten umschlägt oder zu Körperunzufriedenheit, Essstörungen und Depressionen führt, müssen Gesundheitsexpert*innen auch Selbstkritik zulassen und entsprechende Konsequenzen daraus ziehen. Dies stellt einen wichtigen Grundstein für eine progressive Entwicklung dieser Disziplin dar. Gesundheit allein an BMI-Werten ablesen zu wollen oder gesunde Ernährung auf einzelne Nährstoffe zu reduzieren führt zu Normzwängen die mehr Probleme schaffen als sie zu lösen.
Chancen für die Gesundheitskommunikation
Ich denke wir können von sozialen Phänomenen wie dem Body Positive Movement lernen. Und eigentlich ist es eine Weiterführung dessen, was bereits existiert. Denn die Definition der WHO (Weltgesundheitsorganisation), stellt den Begriff des subjektiven Wohlbefindens in den Mittelpunkt von Gesundheit, was mit dem Konzept von Selbstliebe und Körperakzeptanz bestens vereinbar ist.
Es braucht also keine neue offizielle Definition von Gesundheit sondern einen neuen Diskurs um das Verständnis von Gesundheit. Ein Verständnis, welches Diversität zulässt und individuelle Bedürfnisse und Prioritäten akzeptiert. Anstelle des immer wieder verwendeten Bildes der weißen, schlanken Frau sollte in der Gesundheitskommunikation auf eine bunte Vielfalt gesetzt werden, welche Menschen mit unterschiedlichen Alter, Gender, Ethnie, Körper und sexueller Orientierung zeigt. Es braucht zudem ein Verständnis von Gesundheit, welches aufhört von den Menschen eine streng rationalisierte Lebensführung abzuverlangen, ständig neue Normen konstruiert und im Zuge dessen gesellschaftliche Probleme individualisiert anstatt sie zu lösen.
Die Studie, mit den detaillierten Ergebnissen, könnt ihr auf der Seite des Springer Fachmedien Verlags nachlesen: #Fitness vs. #BodyPositive – die unterschiedliche soziale Konstruktion von Gesundheit auf Instagram.
A.-L. Klapp und J.C. Klotter (2019): #Fitness vs. #BodyPositive – die unterschiedliche soziale Konstruktion von Gesundheit auf Instagram. https://doi.org/10.1007/s11553-019-00708-5