Sich rein pflanzlich zu ernähren ist die eine Sache, aber kann auch die Landwirtschaft ganz ohne Tier funktionieren? Ja, das kann sie. Es ist tatsächlich ein weit verbreiteter Irrglaube, dass landwirtschaftliche Kreisläufe ausschließlich mit Tieren geschlossen werden können.
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Um die Debatte zu dem Thema nachvollziehen zu können, ist es wichtig, ein paar Hintergründe zu kennen: Bei der ökologischen Landwirtschaft stellen Leguminosen die wichtigste Quelle dar, um Böden mit Nährstoffen zu versorgen und so die Bodenfruchtbarkeit aufzubauen. Diese Leguminosen werden auch als Zwischenfrucht bezeichnet, die zwischen den anderen Feldfrüchten, wie etwa Getreide oder Gemüse, die der Hauptnutzung dienen, angebaut werden. Durch den Zwischenfruchtanbau können dem Boden nicht nur wichtige Nährstoffe zugeführt werden, er sorgt darüber hinaus für eine bessere Widerstandsfähigkeit gegen Schädlinge. Die Zwischenfrucht muss ebenfalls geerntet werden. Dieses Gemenge aus Leguminosen und Gräsern wird wiederum an Rinder verfüttert. Mit dem Mist der Rinder erfolgt anschließend die Düngung der Felder und das Ganze beginnt von Neuem. Damit liegt ein geschlossener Kreislauf vor und das ist der Grund, warum oft davon die Rede ist, dass biologische Landwirtschaft nur mit Tieren möglich sei.
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Doch in diesem Bereich gibt es engagierte Aktivist*innen, die das System hinterfragen und nach Alternativen suchen. Zum Beispiel Anja Bonzheim, die ich für mein Buchprojekt „Food Revolte: Ein vegan-feministisches Manifest“ interviewt habe. Bonzheim ist studierte Öko-Agrarmanagerin und Vorstandsmitglied des Förderkreises Biozyklisch-Veganer Anbau. Der Verein möchte ein anderes Mensch-Tier-Verhältnis etablieren und setzt sich für eine nachhaltige Landwirtschaft ohne die wirtschaftliche Nutzung von Tieren ein. „Dafür halten wir den Kreislauf einfach kürzer und gehen nicht den Umweg über das Tier“, erklärt mir Anja bei unserem Treffen.
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„Die Leguminosen werden nicht an Tiere verfüttert, sondern direkt kompostiert und als pflanzlicher Dünger auf die Felder gebracht. Letztlich ist es der schneller verfügbare, da wasserlösliche Stickstoff in tierischem Dung, weshalb der Mist als besonders wachstumsfördernd gilt. Diese Komponente ist allerdings auch dafür verantwortlich, dass tierischer Dung unser Grundwasser gefährdet. Ähnliche und teilweise sogar bessere Effekte können auch und gerade ohne den Einsatz von tierischem Dung erzielt werden, sobald genügend Stickstoff vorliegt, was auf ideale Weise über Gründüngung mit Leguminosen geschieht. Die Kreislaufwirtschaft im Sinne der biozyklisch-veganen Richtlinien leistet signifikante Beiträge zum Klima-, Boden-, Gewässer- und Biodiversitätsschutz sowie zur Pflanzengesundheit, deren positive Auswirkungen über diejenigen des klassischen Ökolandbaus hinausgehen können“, so Anja weiter.
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In den 1990er Jahren erstellten griechische Bäuerinnen und Bauern die Leitlinien für den biozyklisch-veganen Anbau und führten eine Zertifizierung für diese Form der Landwirtschaft ein. Mittlerweile gibt es biozyklisch-vegan zertifizierte Betriebe ebenso in Deutschland, Ungarn, Frankreich, Schweiz und den Niederlanden. Hier werden neben Obst und Gemüse auch Sojabohnen, Weizen, Nüsse sowie Wein angebaut.
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Ich selbst beziehe eine bio-vegane Gemüsekiste von PlantAge. PlantAge ist ein SoLaWi-Betrieb aus Frankfurt (Oder). SoLa – was? SoLaWi! Die Abkürzung steht für Solidarische Landwirtschaft. Bei der SoLaWi wird nicht das einzelne Lebensmittel finanziert, sondern die Landwirtschaft als solche. Mehrere Privathaushalte tragen die Kosten eines landwirtschaftlichen Betriebs, wofür sie im Gegenzug dessen Ernteertrag erhalten: regionale, saisonale, biologische und faire Lebensmittel. Und in diesem Fall eben auch komplett ohne Tier produziert.
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„Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten, haben meist nur die Wahl entweder die Natur oder sich selbst auszubeuten. Ihre Existenz hängt von Subventionen und Markt- bzw. Weltmarktpreisen ab“, heißt es auf der Webseite des Netzwerks Solidarische Landwirtschaft. [1] Mit der SoLaWi werden herkömmliche Märkte durch solidarische Beziehungen ersetzt und man ist als Landwirt*in den ausbeuterischen Verhältnissen nicht länger ausgeliefert. Die Bäuerinnen und Bauern müssen sich also nicht an der Preisschlacht im Supermarkt beteiligen, sondern erhalten eine faire Bezahlung und Planungssicherheit.
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In Europa versorgen mittlerweile 2.800 Betriebe mit dieser nicht-industriellen, marktunabhängigen Form der Landwirtschaft eine halbe Million Menschen mit Nahrungsmitteln. Über 90 % der SoLaWi-Betriebe in Europa produzieren Gemüse, gefolgt von Obst mit rund 60 % und Eiern mit knapp 40 %. Weniger als ein Drittel der Betriebe bieten außerdem noch Fleisch sowie Milch und Milchprodukte an.[2]
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PlantAge kooperiert mit verschiedenen veganen Cafés und Restaurants in Berlin, die als Abholstation für die Kisten dienen. Bei mir um die Ecke ist direkt ein Café, bei dem ich mir meine Kiste abholen kann. In meinem Buch findet ihr übrigens auch ein Interview mit der Mitbegründerin Judith Ruland. Sehr lesenswert 😉 Mittlerweile sind rund 400 Personen Teil der PlantAge-Genoss*innenschaft und sie wächst stetig weiter.
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Wie ihr seht: Landwirtschaft kann auch ohne Tiere funktionieren und Menschen mit qualitativ guten Lebensmitteln versorgen. Meine Mitbewohnerin meinte letztens sogar zu mir, dass sie selten so geschmackvolle Kartoffeln gegessen hat. Ohne Mist.
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Links zum Weiterlesen:
Plant Age: https://www.plantage.farm
Förderkreis Biozyklisch-Veganer Anbau e.V.: https://biozyklisch-vegan.org
Solidarische Landwirtschaft: https://www.solidarische-landwirtschaft.org/startseite
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Hinweis: unbezahlte Werbung
Photo by Elaine Casap on Unsplash
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Quellen:
1. Netzwerk Solidarische Landwirtschaft (2020): Was ist Solidarische Landwirtschaft. Online unter: https://www.solidarische-landwirtschaft.org/das-konzept/ [10.11.2020]
2. Urhahn J., Pohl C. (2017): Die Alternativen: Agrarökologie und Solidarische Landwirtschaft. Online unter: https://www.boell.de/de/2017/01/10/agraroekologie-solidarische-landwirtschaft [10.11.2020]