Interview: Auf einen Donut mit Niko Rittenau

Wer in den letzten Monaten die vegane Szene in Deutschland ein bisschen verfolgt hat, wird an ihm nicht vorbei gekommen sein: Niko Rittenau. Er ist auf den Bühnen der Veggiemessen quasi zu Hause, war gleich zweimal auf dem Cover der „Kochen ohne Knochen“ und hat im September sein erstes Buch herausgebracht, von dem bereits jetzt, aufgrund der hohen Nachfrage, die 3. Auflage gedruckt wird. 

Und weil ich Niko nicht nur als Ernährungsexperten sondern auch als Menschen unglaublich schätze, habe ich mich mit ihm getroffen und ein bisschen über sein Buch, seine Zeit in Österreich und darüber, warum Donuts unser Leben bereichern, geplaudert. 

Niko, wir kennen uns jetzt seit 2014 und du bist auf jeden Fall einer der Menschen, deren Werdegang ich besonders spannend finde. Du hast in den letzten Jahren eine steile Karriere hingelegt und im September diesen Jahres ist dein erstes Buch „Vegan Klischee ade!“ erschienen. Das Buch soll wissenschaftliche Antworten auf kritische Fragen zu veganer Ernährung liefern. Was war für dich der Antrieb dieses Buch zu schreiben?

Ich beginne erstmal mit dem, was nicht mein Antrieb war. Mein Antrieb war es nicht, einfach nur ein Buch zu schreiben, um selbst ein Buch zu haben und auf dem Cover zu sein. Was ich damit sagen will, wenn irgendjemand anderes dieses Buch geschrieben hätte, ich wäre super glücklich gewesen und hätte dieses Buch empfohlen. Es gibt eine ganze Reihe an richtig guten Ernährungsbüchern, beispielsweise von Brenda Davis, Michael Greger oder Virginia Messina, aber mir fehlten zwei wichtige Komponenten. Zum einen ein Buch, das explizit mit diesen immer wieder gestellten Fragen und Vorurteilen aufräumt und zwar nicht so, dass auf Seite 101 die eine Frage beantwortet wird und auf Seite 330 die nächste, sondern, dass dies wirklich das gesamte Leitthema des Buches ist. Und zum anderen sind viele von den wirklich guten Büchern teilweise vor fünf, acht oder zehn Jahren im Englischen erschienen, werden auch seitdem nicht mehr überarbeitet, aber jetzt durch die steigende Aufmerksamkeit ins Deutsche übersetzt. Dem entsprechend alt sind natürlich die Quellen, die verwendet werden. Ich wollte diese Lücke schließen und ein aktuelles Buch schreiben. Und der dritte Grund war ganz einfach der, das selbst wenn es auf dem amerikanischen Markt etwas Vergleichbares gegeben hätte, würde aus meiner Sicht trotzdem der deutsche Vertreter fehlen. Denn Personen wie Brenda Davis und Michael Greger sind nicht auf deutschen oder österreichischen Bühnen unterwegs. 

Da Deutschland im internationalen Vergleich wirklich fortschrittlich ist, was das vegane Thema betrifft, bietet es sich ohnehin an, hier ein entsprechendes Werk zu veröffentlichen.

Genau, deshalb bin ich ja auch aus Österreich weg (lacht). Ich freue mich aber natürlich immer wenn ich dort bin. Ich war letztens in Wien auf der „Vegan Planet“ und fand es dort sehr cool und musste zum ersten Mal nicht den Disclaimer machen „Hey, ich lerne noch Deutsch und es wird immer besser!“ sondern konnte sagen „Hey, ich rede zwar die meiste Zeit Deutsch, aber versuche jetzt wieder Österreichisch zu sprechen“. 

Bist du in der veganen Szene in Österreich auch schon so bekannt wie in Deutschland?

Gute Frage. Man kann jetzt ein bisschen die Analytic Tools durchforsten, wo man sieht, dass der größte Teil der Leute, die meine Kanäle besuchen und abonnieren schon aus Deutschland kommt. Nun ist Deutschland aber auch größer als Österreich. Bei meinem letzten Besuch habe ich mich allerdings schon wie ein „Localhero“ gefühlt. Besonders spannend war es in meiner Heimatstadt Klagenfurt, wo ich auch meine Ausbildung zum Touristikkaufmann absolviert habe. Dort wurde ich tatsächlich an die Schule eingeladen um dort zu referieren, obwohl ich damals nicht sehr beliebt bei den Lehrern war. Und plötzlich sind die alle super freundlich zu mir und bieten mir an, sie doch beim Vornamen zu nennen. (lacht) Nichtsdestotrotz, es ist immer schön in Österreich zu sein. 

Und wie waren ganz allgemein die ersten Reaktionen auf dein Buch?

Also ich würde gern sagen, ich war total überrascht vom positiven Feedback, aber wir hatten tatsächlich schon hohe Erwartungen. Ich habe zwei Jahre lang daran geschrieben, die letzten elf Monate sogar rund um die Uhr, wenn ich nicht gerade auf Tour war. Außerdem habe ich das Buch auch schon vielen Leuten vorab zum Lesen gegeben, auch vielen vegan-kritischen Menschen, denn ich wollte nicht das Lob von Leuten einheimsen, die mir ohnehin wohlgesonnen sind, sondern versuchen, die „vegane Brille“ herunter zu nehmen und auch die eigenen Vorurteile zu hinterfragen. Als diese kritischen Personen es durchgewunken haben und meinten, das Buch ist sehr gut, war ich mir dann auch sicher, dass es gut werden würde. Ich habe dann tatsächlich am Tag der Buchveröffentlichung bereits nachts die ersten Nachrichten von Menschen bekommen, die das Buch komplett gelesen haben. Das war crazy. Und es kam relativ schnell von überall ein gutes Feedback. Es wurde auch das bestätigt, was ich versucht habe: ein wissenschaftlich fundiertes Buch zu schreiben, was jede Aussage mit Primärliteratur belegt, eine neutrale Sprache hat und offene Forschungsfragen auch als solche darstellt und nicht einfach Behauptungen aufstellt. Auf der anderen Seite war es mir wichtig, ein populärwissenschaftliches Buch zu liefern, was von der Tonalität her leicht verständlich ist und Fachtermini entweder umschreibt oder direkt erklärt. Und genau das beinhaltet das Feedback. 

Foto: Matthias Schillig

Das, was du schilderst, kann ich auch bestätigen. Das Buch hat zwar immer noch einen gewissen Anspruch, eignet sich meiner Meinung nach aber sowohl für Menschen vom Fach als auch für Laien. Und nun kommt nach nur drei Monaten die dritte Auflage, hättest du denn damit gerechnet?

Nein, damit hätte ich auch nicht gerechnet. Ich wurde immer gefragt, was für Erwartungen ich von der Verkaufsseite her habe, aber das konnte ich gar nicht einschätzen. Zum einen ist es mein erstes Buch und ich wusste nicht, ob das ganze Lob vor ab auch wirklich bedeutet, dass sich das Buch verkauft. Und zum anderen habe ich die Buchverkäufe von meinen Kolleginnen und Kollegen gar nicht auf dem Schirm, um das entsprechend einschätzen zu können. Soll heißen, wir haben nicht mehr 2013, wo sich Bücher gut verkaufen lassen und manche Verlage sagen, dass der vegane Markt langsam gesättigt ist. Aber mein Beispiel zeigt sehr gut, dass es an mancher Stelle vielleicht einfach nur an Innovation gefehlt hat. Das vielleicht nur der Kochbuchmarkt gesättigt ist und nicht das vegane Thema per se. Ich habe das Gefühl, die vegane Bewegung war noch nie so lebendig wie 2018. 

Ja, das empfinde ich auch so. Nochmal kurz zurück zum Thema deines Buches. Du schreibst über Mythen der veganen Ernährung. Was war der absurdeste Mythos, mit dem du konfrontiert wurdest?

Ich finde mit meinem jetzigen Hintergrundwissen jeden Mythos absurd, aber ich habe für jeden einzelnen Mythos Verständnis, weil es eine Zeit gab, in der ich genauso gedacht habe. Auch ich habe irgendwann dem ersten vegan lebenden Menschen den ich getroffen habe, die Frage gestellt, woher er sein Protein bekommt. Und konnte gar nicht glauben, dass meine Knochen stark bleiben, wenn ich keine Milch trinke. Am absurdesten finde ich tatsächlich den Protein-Mythos, weil er von allen Mythen am einfachsten entkräftet werden kann. Letztlich ist es nur eine Rechenfrage. Wenn du dich abwechslungsreich ernährst und bestimmte Lebensmittel miteinander kombinierst, wirst du sehen, dass es gar nicht möglich ist, zu wenig Protein aufzunehmen. Aber auch die anderen Nährstoff-Mythen sind absurd, wenn man sich bewusst macht, woher unsere Nährstoffe kommen. Das weißt du als Ernährungswissenschaftlerin ja sicherlich besser als die meisten. Mineralstoffe kommen aus dem Boden und können entweder direkt über den Verzehr von Pflanzen oder über den Umweg des Tieres, was die Pflanze frisst, zum Menschen kommen. Vitamine werden bakteriell gebildet, von der Pflanze aufgenommen und gelangen dann ins Tier und Fisch besitzt auch kein Monopol auf Omega-3-Fettsäuren, sondern bekommt diese erst durch das Fressen von Algen. 

Du hast außerdem ein ganzes Kapitel dem Nahrungsmittel „Soja“ gewidmet. Warum?

Soja ist eines meiner Lieblingsthemen und war auch Thema meiner Bachelorthesis. Der Grund, warum ich positiv für Soja argumentiere ist, dass die Datenlage zeigt, dass der Verzehr von Soja nicht nur ungefährlich sondern gesund ist. Ich seh natürlich auch, dass alle Sojaproduzenten meine Arbeit dankbar aufnehmen und ich versuche den Spagat hinzubekommen zwischen Vorträgen beim Alpro-Symposium und glaubwürdiger, kritischer Auseinandersetzung. Wenn die breite Datenlage sich irgendwann ändern sollte, bin ich der erste, der seine Inhalte korrigiert. Es geht mir nicht darum Recht zu haben, sondern die Datenlage zu zeigen. 

Es ist ja auch so, dass 2/3 der globalen Sojaernte von der Tierfuttermittelindustrie genutzt wird und man könnte so viel mehr Menschen satt bekommen, wenn all das Soja direkt zu Lebensmitteln verarbeitet werden würde. Aus diesem Grund finde ich es persönlich auch besonders wichtig, mit diesem „Soja ist ungesund“-Mythos aufzuräumen. 

Das sehe ich auch so. Was da alles für Gerüchte existieren. Tofu würde nur aus genmanipulierten Sojabohnen hergestellt werden, für Sojalebensmittel würde der Regenwald abgeholzt werden, der Verzehr von Soja würde Männer verweiblichen oder bei Frauen Brustkrebs verursachen… man könnte darüber lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Denn Studien zeigen zum Beispiel, dass Frauen mit dem höchsten Sojakonsum sogar das geringste Brustkrebsrisiko haben. Da werden also bedeutende präventive Ansätze verspielt, wenn Frauen Angst vor Soja gemacht wird und sie im schlimmsten Fall dann stattdessen Nahrungsmittel auswählen, die gesundheitlich wirklich eher nachteilig sind. 

Stichwort Nahrungsmittelauswahl. Du bist ja nicht nur studierter Ernährungsberater sondern hast in Österreich auch eine Ausbildung zum Touristikkaufmann gemacht, bei der du Einblicke im Bereich Küche und Service hattest. Was sagst du zu dem hartnäckigen Vorurteil, dass die Spitzenküche nicht ohne Fleisch oder andere tierische Produkte möglich sei?

Viele Spitzenköche beweisen, wenn sie vegane Gerichte zubereiten, das es nicht funktioniert, aber das hat vermutlich mehr mit fehlender Kreativität oder fehlendem Verständnis der Warenkunde zu tun. Schließlich gibt es eine ganze Reihe an exzellenten Restaurants, die rein vegetarisch oder vegan sind und zeigen, dass man auch ohne tierische Produkte unfassbar gute Gerichte zubereiten kann. Es gibt zum Beispiel in Frankfurt das LaFleur, ein zwei Sterne Restaurant, das schon seit längerer Zeit ein rein veganes sechs Gänge Menü hat oder in Wien das TIAN, wo ich auch gearbeitet habe. Das Restaurant ist rein vegetarisch und bietet zudem sehr viele vegane Gerichte an. Und natürlich in Berlin Lucky Leek und Kopps, die jeweils großartige pflanzliche Küchen haben. Es erfordert einfach ein bisschen Umdenken. Mein guter Freund Sebastian Copein sagt immer so schön, wenn Gemüse nicht schmeckt, liegt das am Koch. Und wenn man einer Karotte die gleiche Hingabe widmet wie einem Rindsbraten, also mit der gleichen Muse würzt, gart, schmort und brät, dann wird das auch lecker. Aber wenn du die Karotte einfach nur über einen Salat raspelst und dich dann wunderst, dass das nicht nach Umami schmeckt…

Absolut! Das ist ein ganz wunderbarer Vergleich. Wir beide hatten ja auch schon mehrere gemeinsame Auftritte bei denen wir unter anderem Süßigkeiten aus meinem Buch zubereitet haben. Ehrlich gesagt war es mir immer ein besonders großer Spaß dich, als ein Verfechter der gesunden, vollwertigen Ernährung, in diesen Momenten neben mir stehen zu haben, weil ich diesen Widerspruch witzig finde. Für unser kleines Treffen heute habe ich uns deshalb auch ein paar zuckersüße Donuts besorgt. Immerhin vegan. Darf es denn für dich auch mal sowas klassisch ungesundes sein wie ein Donut oder eine Tüte Chips?

Auf jeden Fall. Und eigentlich gibt es ja keine komplett ungesunden Dinge, genauso wie es keine komplett gesunden Dinge gibt. Ich meine, ein Apfel im Jahr wird niemanden gesund machen und ein Donut im Jahr wird niemanden krank machen. Es geht immer um die Summe in der Ernährung. Und das ist nicht so eine Aussage aufgrund zu weniger Daten, sondern die Daten zeigen genau das. Nämlich, dass man Dinge kompensieren kann und das es keinen gut belegten Vorteil hat, 100 Prozent gesund zu essen im Vergleich zu 95 Prozent. Und so ein Donut bereichert mein Leben genauso, weil er einfach schmeckt und lecker ist. In mir steckt immer noch das leicht übergewichtige, schokoladensüchtige Kind von damals. Das kommt immer mal wieder durch und ich lasse das auch gerne durch, genieße es dann aber bewusst. Zu Hause setze ich mich der Versuchung allerdings nicht aus, weil ich weiß, wenn eine Tafel Schokolade im Haus ist, wird die komplett gegessen und die zweite hinterher. Deshalb gibt es sowas bei mir zu Hause nicht und ich kann mich um so mehr freuen, wenn es bei einer Messe Schokolade gibt oder ich mit dir Donuts bei einem Interview essen kann. 

Hach Niko, du sprichst mir aus der Seele. Jetzt habe ich noch eine letzte Frage. Hast du für die Menschen, die sich für eine vegane Ernährung interessieren, aber noch irgendwelche gesundheitlichen Bedenken haben, ein paar Tipps?

Eine ganz uneigennützige Empfehlung die ich habe, sind meine kostenlosen YouTube-Videos, die auch alle Kerninhalte meines Buches beinhalten. Mir ist wichtig, dass die Leute diese Inhalte bekommen, egal ob sie dafür bezahlen oder nicht. Deshalb sind wir grad dabei eine 50 oder 60-teilige Videoreihe zu drehen, bei dem wir jedes Hauptthema aufbereiten. Generell würde ich empfehlen der ganzen Sache ein bisschen neutraler gegenüber zu stehen und weggehen von der Frage „ist vegan gesund oder ungesund?“ oder „ist mischköstlich gesund oder ungesund?“, sondern die Frage muss lauten „ist die Ernährung bedarfsdeckend?“. Und das können in der Theorie beide Ernährungsweisen sein, es hängt davon ab, wie das Ganze gestaltet wird. Außerdem müssen wir weniger darüber sprechen was Veganerinnen und Veganer nicht essen und mehr darüber sprechen was sie eigentlich essen und den Menschen konkretere Hinweise geben. 

Meine Erfahrung ist es, dass sich die Menschen viel leichter damit tun, wenn man ihnen sagt, dass eine vegane Ernährung hauptsächlich auf den fünf Lebensmittelgruppen Obst, Gemüse, Vollkorngetreide, Hülsenfrüchte sowie Nüsse und Samen basiert. Wenn man dann noch die kritischen Nährstoffe im Blick behält, merkt man schnell, dass es sich hier um keine Raketenwissenschaft handelt. Vitamin B12 muss man supplementieren, das ist aber mittlerweile sehr einfach und praktikabel, sei es über eine Lutschtablette oder eine angereicherte Zahnpasta, und auch hier zeigt die Datenlage, dass eine ausreichende Versorgung mit Vitamin B12 über diese Wege gewährleistet werden kann. Abschließend möchte ich noch den Tipp geben, nicht zu verkopft an die Sache heran zu gehen und dann wird man schnell merken, dass es funktioniert und auch Spaß macht. 

Dem kann ich mich nur anschließen und ich bedanke mich für das tolle Interview! 

Und an dieser Stelle auch nochmals vielen Dank an Matthias Schillig, der unser Interview fotografiert hat. 


Vegan-Klischee ade! Wissenschaftliche Antworten auf kritische Fragen zu veganer Ernährung
ISBN-10:
3955750965
Preis: 24,80 €

Wenn ihr mehr über Niko erfahren wollt, schaut auf seiner Webseite, bei Facebook, YouTube oder Instagram vorbei und hinterlasst gern ein Like. 🙂

Website: www.nikorittenau.com

Rechtlicher Hinweis: unbezahlte Werbung.

One Reply to “Interview: Auf einen Donut mit Niko Rittenau”

  1. Tolles Interview. Es bringt schon viele Aspekte für oder gegen eine rein pflanzliche Ernährung auf den Punkt und motiviert, sich noch intensiver mit der Thematik auseinanderzusetzen. Danke dafür Anna-Lena und Niko!

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